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Denken ohne Geländer

Das Lebensmotto einer der größten politischen Theoretikerinnen der Geschichte ist Vermächtnis und Aufruf zugleich.

von

  • Toralf Laibtzsch

Hannah Arendt ist vor fast einem halben Jahrhundert von uns gegangen. Niemand vor oder nach ihr hat totalitäre Systeme so präzise und unvoreingenommen analysiert und zugleich so hautnah miterlebt (1). Wir verdanken ihr die Aufforderung zum Nachdenken: über Eigenverantwortung, Zivilcourage, Gleichschaltung, Kollektivschuld und Gehorsam. Nach eigener Aussage war sie nie „an Wirkung“ interessiert. Sie wollte einfach nur verstehen (2). Dies ist auch der Grund, warum politische Ortsangaben wie „links“ oder „rechts“ in ihrem Denken und Werk nicht vorkommen. Denn zum Verstehen bedarf es des freien Geistes und Gedankens: ein „Denken ohne Geländer“, wie sie es nannte. Insbesondere wollte sie verstehen, warum Menschen in totalitärer Umgebung so handeln, wie sie handeln. Gerade in der heutigen Zeit, in der gewisse totalitäre Tendenzen ganz augenscheinlich hervortreten, hat sie nichts an Aktualität verloren.


Als junge Studentin besuchte Hannah Arendt die Vorlesungen Martin Heideggers, der später zu einem der einflussreichsten Philosophen des Jahrhunderts werden sollte. Arendts intellektuelle Begabung beeindruckte Heidegger. Sie wurden ein Liebespaar. Umso unbegreiflicher und schmerzhafter war es für Arendt, als ihr Geliebter 1933 aus freien Stücken in die NSDAP eintrat. Sie brach daraufhin den Kontakt ab (3).

Auch konnte sie nicht verstehen, wieso es unter der intellektuellen deutschen Bevölkerung so wenig Widerstand gab. Und warum fanden sich unter all den Gleichgeschalteten ausgerechnet auch solche, die sie für ihre Freunde hielt? Dieses bereitwillige Sich-Fügen und Mitlaufen, die „Gleichschaltung“, wie sie es nannte, war augenscheinlich gerade unter den Intellektuellen besonders ausgeprägt (4), unter denjenigen also, die die Vorgänge viel besser hätten verstehen müssen, und von denen man annehmen durfte, dass sie ihre Entscheidungen bewusster und durchdachter trafen. Arendt wollte das verstehen.

Das Verstehen-Müssen — jetzt und heute

Auch heute wollen die Menschen einfach nur verstehen.

Sie wollen die Entscheidungen der Politiker verstehen, denen sie ihr Vertrauen geschenkt haben.

Sie wollen wissen, warum sie an der frischen Luft eine Maske tragen müssen, deren Sinn noch Monate zuvor ganz grundsätzlich infrage gestellt wurde.

Und warum hat es weitere Monate gedauert, bis die Bundesregierung mit ihrer Berater-Entourage zur Erkenntnis gelangte, dass nur FFP2-Masken wirklich Schutz bieten und alles davor doch eher Maskerade war? Das würden sie gern verstehen.

Sie wundern sich, warum ein Impfstoff, der erst für Ältere ungeeignet schien, es nun auf einmal doch ist, obwohl die Datenlage schon vor dessen Markteinführung eindeutig gewesen sein sollte.

Überhaupt wollen sie verstehen, wieso Impfstoffe just zur Pandemie auf einmal in wenigen Monaten entwickelt werden konnten, wofür man früher viele Jahre brauchte, und wieso schwere Nebenwirkungen dieser neuen Impfstoffe zudem sicher auszuschließen sind, wohl wissend, dass doch gar keine Zeit geblieben war, diese zu beobachten. Erst recht gilt das für Langzeitfolgen.

Solche ganz besonderen Langzeitfolgen scheinen aber manchem Politiker wiederum schon ziemlich genau bekannt zu sein, allerdings nicht die Impfung, sondern das Virus betreffend. Und das, obwohl es sich um ein „neuartiges“ Virus handelt. Das können viele nicht nachvollziehen.

Verstehen wollen sie auch, warum der Inzidenz-Zielwert nun gerade 50 oder 35 oder sonst was sein soll, und das, wo alles unterhalb 50 als „seltene Krankheit“ gilt und noch dazu all die Gezählten zumeist noch nicht mal krank sind. Und warum, so fragen sie sich, sind plötzlich andere Parameter unwichtig: der R-Wert, die Belastung des Gesundheitswesens, die Auslastung der Intensivbetten, wo diese doch zuvor Grundlage aller Entscheidungen waren.

Wieso, weshalb, warum…

Auch wollen sie wissen, wieso so viel getestet werden muss, vor allem die Gesunden, zumal jeder PCR-Test locker einen Hunderter verschlingt. Warum reicht es nicht, nur bei Symptomen oder Verdacht zu testen, quasi beim Arztbesuch – so wie früher? Wieso ist alles anders auf einmal?

Manch einer würde gern erklärt bekommen, warum eben dieser PCR-Test das Nonplusultra der Virusdiagnostik sein soll, obwohl dessen Erfinder genau davor gewarnt hat, ihn für diagnostische Zwecke zu verwenden, um eine Infektion festzustellen.

Ganz interessierte Bürger fragen, warum man einen solch entscheidenden Parameter wie den Ct-Wert nicht auf 25 begrenzt, wo er zumindest ungefähre Rückschlüsse auf die Viruslast und Infektiosität zulässt. Warum werden dann aber häufig Tests mit viel höheren Ct-Werten genutzt, bis hin zu 40, wo sie praktisch nutzlos sind oder falsch-positive Ergebnisse liefern? Das verstehen sie nicht. Will man viele Infizierte zeigen?

Und wieso gibt es bei all der Testerei nicht wenigstens immer auch eine Berichterstattung zur Anzahl der Tests, wo doch klar ist, dass deren Zunahme auch die Inzidenzwerte nach oben treibt? Das würde auch örtliche Unterschiede erklären. Dann würde man besser verstehen.

Schon früh fragten sich übrigens viele, wieso kritische Stimmen offenbar nicht gehört werden sollen und man stattdessen in politischen Talkrunden immer dieselben Gesichter sieht, manche so häufig, dass man den Eindruck gewinnen könnte, sie wären sie selbst über einen PCR-Test vervielfältigt worden.

Was soll das?

Ganz grundsätzlich begreifen viele nicht, warum es Bußgelder und Polizeigewalt zur Durchsetzung von Maßnahmen bedarf, wo doch bei realer Gefahr die Virusangst in der Bevölkerung ausreichend groß sein müsste und der Staat auf die Selbstschutzreflexe der Bürger vertrauen könnte.

Manch unbescholtener Bürger will verstehen, weshalb er nach Ausübung seines Grundrechts auf Versammlungsfreiheit plötzlich ein rechtsradikaler antisemitischer Verschwörungstheoretiker und Covidiot sein soll. Er wollte doch nur verstehen und sich informieren.

Und überhaupt, so fragen einige, warum können Grundrechte so schnell zur Nebensache werden? Sie verstehen die Bedeutung des Grundgesetzes nicht mehr, die sie offensichtlich überschätzt hatten. Denn anders als ein Eheversprechen gilt das Grundgesetz scheinbar nicht in guten und in schlechten Zeiten.

Einige Nachdenker sind immer noch nicht müde, verstehen zu wollen, wieso die vielen Monate nicht ausgereicht haben, um herauszufinden, ob nun jemand „an“ oder „mit“ Corona gestorben ist. Und sie verstehen nicht, wieso der eigentlich markante Unterschied dann für politische Entscheidungen am Ende belanglos bleibt und nur eine Interpretation zulässt.

Der so Nachdenkende fragt sich auch, wieso nicht häufiger Obduktionen zur Klärung durchführt werden. Er will doch nur verstehen. Zumal einige eigeninitiativ durchgeführte Autopsien Zweifel erhärteten, dass Corona häufig doch nicht die Todesursache ist.

Verstehen wollen natürlich auch die Händler und die Künstler, wieso der eine darf und der andere nicht, obwohl doch der andere ein noch besseres Hygienekonzept hat als der eine.

Mütter und Väter verstehen trotz Erklärungsversuchen immer noch nicht, warum ihre Jungs nicht mehr kicken dürfen, die großen Vorbilder aber quer durch die Republik und Europa jetten, zu wichtigen und unwichtigen Spielen, und sich dabei auch noch ständig umarmen.

Wieso, das fragen sich einige, wird immer nur über das Impfen gesprochen und nie über unser Immunsystem, als gäbe es das gar nicht mehr. Und warum müssen „alle“ geimpft werden, wo es doch Risikogruppen und Nicht-Risikogruppen gibt?

Die ganz Aufmerksamen …

… die wollen verstehen, wieso einige anscheinend schon sehr früh sehr viel wussten. Wieso konnten Biontech oder Moderna bereits im Januar 2020 mit einer Impfstoffentwicklung beginnen, obwohl eine Pandemie noch nicht mal am Horizont zu erkennen war? Dafür hätten sie gern eine Erklärung.

Und warum war sich die Bundeskanzlerin schon im April vorigen Jahres sicher, dass die Rettung nur ein Impfstoff bringen könne? Wieso hat die Bundesregierung mit der Werbeagentur Scholz & Friends ziemlich zeitgleich einen Werbevertrag für die nächsten vier Jahre zur Bewältigung der Coronakrise abgeschlossen? Wusste sie da schon Bescheid über Verlauf und Dauer der Pandemie?

Oder dass Jens Spahn bis zu 635,1 Millionen Impfdosen beschaffen will? Die Leute möchten einfach nur verstehen warum. Und ob der gute Jens dabei ein exponentielles Bevölkerungswachstum vorhergesehen oder sich einfach nur in der Kommastelle vertan hat.

Die ganz Spitzfindigen würden gern wissen, wieso die Bevölkerungen von Nationen wie Weißrussland nicht schon völlig dezimiert sind, da sie doch auf Lockdowns gänzlich verzichteten und auf eine friedliche Koexistenz mit dem Erreger setzten. Und warum erdreisten sich die Schweden, aus der Phalanx der Lockdown-Länder auszubrechen? Wie kommt das?

Vom Virus verschont

Manche fragen sich auch, was eigentlich in Regionen passiert, in denen Hygienekonzepte gar nicht durchgesetzt werden können, einfach deshalb, weil es so was wie Hygiene dort noch nie gab.

Sie verstehen nicht, wieso sich in den unzähligen Slums, Ghettos und Favelas um den Erdball nicht ständig katastrophale Mega-Hotspots bilden. Mehr als eine Milliarde Menschen lebt in diesen Elendsvierteln, für die vor allem eine extrem hohe Bevölkerungsdichte, Verwahrlosung sowie mangelnde Infrastruktur und medizinische Versorgung bezeichnend ist.

Wo, wenn nicht dort findet Corona die Idealbedingungen, sein pandemisches Unwesen zu treiben. Doch nichts von alldem kommt in den Nachrichten vor. Das verstehen einige nicht. Aber sie wollen es verstehen.

Schadensbilanzen

Sie verstehen auch nicht, wieso Kollateralschäden so wenig diskutiert werden, obwohl sie längst die Hauptschäden darstellen. Wieso werden die Mahner nicht ernst genommen, die auf die Folgen für eine Generation maskierter Kinder hinweisen? Warum spielen die Horrorzahlen des Kinderhilfswerks UNICEF in der öffentlichen Wahrnehmung keine Rolle? Weshalb ist die zunehmend prekäre Lage der ohnehin schon ärmeren Bevölkerungsschichten kein Thema, wieso nicht die extrem gestiegene Armut und Arbeitslosigkeit, die vernichteten Existenzen, die Obdachlosen?

Warum ist es offensichtlich ziemlich egal, was mit anderen schwerwiegenden Krankheiten geschieht, die wegen der Corona-Maßnahmen nicht ausreichend behandelt werden? Wieso hat es letztlich gar keine Auswirkung auf die Politik, dass unzählige notwendige Vorsorgemaßnahmen und Operationen aufgrund von Corona nun nicht mehr stattfinden? Auch das wollen sie verstehen.

Und wieso interessiert uns alle überhaupt auf einmal das Schicksal unserer Älteren so sehr, wo es uns das doch all die Jahre ziemlich egal war?

Diese, unsere Älteren sind es, ohne die es das Narrativ Pandemie so gar nicht gäbe. Aber ist die Sorge der Politiker um sie glaubwürdig?

Verstehen wollen aber auch die hoffnungsfroh Geimpften, wieso sie nun doch nicht sofort alles wieder dürfen, obwohl man ihnen nach der Impfung die Freiheit versprochen hatte, die Rückkehr in die Normalität.

Einige wenige, wenn auch immer mehr, fragen sich, wieso trotz all der Ungereimtheiten dennoch und immer noch so viele Länder in dieselbe Richtung marschieren. Denn für die vielen anderen scheint genau dieser Umstand Beweis genug für die Richtigkeit aller Maßnahmen, der Lockdowns, der Maskenpflicht, der Schulschließungen, der Einschränkung der Grundrechte, der Impfstrategie.

Die wenigen, die immer mehr werden

Doch die wenigen, die immer mehr werden, wollen verstehen, wieso es diese Gleichschaltung gibt. Sie interessieren sich für die besondere Rolle der Weltgesundheitsorganisation WHO und deren Finanzierungsstruktur, für den enormen Einfluss der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung und der von ihr geschaffenen Organisationen wie CEPI und Gavi. Sie wollen besser verstehen, welchen wirtschaftlichen Abhängigkeiten kleinere Staaten unterliegen, deren Corona-Politik darüber entscheiden mag, ob und in welcher Höhe sie morgen noch Kredite erhalten.

Diese wenigen, die immer mehr werden, wollen auch besser verstehen, wie die milliardenschweren Erträge des Test-, Masken- und Impfgeschäfts unter den Weltmächten verteilt werden und wer dabei welche Rolle spielt.

Manche fragen sogar, ob Corona tatsächlich die Naturkatastrophe ist, für die sie die meisten halten, oder ob vielleicht nachgeholfen wurde, und ob diese dann jederzeit wiederholbar wäre. Sie wollen nur verstehen.

Sie wollen auch erfassen, welche gesellschaftlichen Folgen Corona hat, eine dauerhaft überwachte Gesellschaft vielleicht, ein digitalisiertes sozial-distanziertes Leben, anhaltende Reiserestriktionen als Beitrag zur Rettung des Planeten, Tourismus nur noch für Besserbetuchte?

Und natürlich wollen sie auch begreifen, warum sich Wissenschaftler, Ärzte und Gerichte so entscheiden, wie sie es tun, welchen Einfluss dabei Korruption, Karriere, Angst vor Konsequenzen oder einfach nur Gehorsam spielen. Sie wollen verstehen.

Und sie fragen sich, warum so viele Musiker, Künstler, Sportler und Prominente schweigen. Hatten sie noch kurz zuvor Säle und Stadien gefüllt, so ist es nun erschreckend still um sie geworden.

Viele wollen so vieles verstehen — so wie Hannah Arendt nur „verstehen“ wollte.

Die Sache mit dem Gehorsam

Als Hannah Arendt 1962 über den Eichmann-Prozess aus Jerusalem berichtete, war sie bereits weltbekannt. Ihr philosophische Hauptwerk war wenige Jahre zuvor veröffentlicht worden, ihr politisches Hauptwerk über den Totalitarismus bereits ein Standardwerk. Doch keines der beiden Bücher sorgte für solche Aufregung wie ihre Veröffentlichung über den Eichmann-Prozess. Es sollte weit mehr werden als eine bloße Prozess-Dokumentation, sondern der Versuch zu verstehen.

Für Arendt war Eichmann nicht der Sadist, den viele in ihm sehen wollten. Schuldig sei er dennoch, so Arendt, da niemand das Recht habe, nur zu gehorchen. Auch Bürokraten wie er tragen Verantwortung. Man hätte ihm vor allem noch einmal sagen müssen, dass für einen Erwachsenen „Gehorsam nur ein anderes Wort ist für Zustimmung und Unterstützung“ (5).

Wenn das Banale des Bösen im Gehorsam besteht und dies auf unzählige andere, ganz gewöhnliche Menschen auch zutrifft, gab es dann nicht auch eine Kollektivschuld? An welcher Stelle beginnt die Unterscheidung zwischen Opfer und Täter? Wie viel Zivilcourage und Widerstand kann und muss man von jedem Einzelnen erwarten?

Das Arrangement mit der Diktatur — Täter oder Opfer?

Jeder, der je in einem System gelebt hat, das nach heutigem Allgemeinverständnis als totalitär oder als Diktatur bezeichnet wird, weiß, wie schwer — ja mitunter unmöglich — es ist, sich diesen Strukturen zu entziehen, ohne zugleich völlig mit dem System zu brechen und dann auch so behandelt zu werden. Die Bevölkerung wird häufig in der Opferrolle gesehen. Doch viele arrangieren sich.

In der DDR waren zuletzt 2,3 Millionen Menschen Mitglied der SED, und das bei gerade einmal 8,5 Millionen Erwerbstätigen. Waren sie Täter, weil sie durch ihre Mitgliedschaft ein autokratisches System stützten? Viele unter ihnen wollten einfach nur ein leichteres Leben, beruflich weiterkommen, vielleicht auch ein paar Privilegien. Konnte man ihnen das vorwerfen? Machten sie sich dadurch schuldig?

Noch offensichtlicher wird dies am Beispiel der Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit. Manche von denen waren sicher überzeugte Spitzel und Denunzianten ohne Unrechtsbewusstsein. Andere wurden erpresst und blieben, so gut es ging, untätig. Wieder andere waren ironischerweise Opfer und Täter zugleich, da sie selbst auch überwacht wurden.

Der Liedermacher Gerhard Gundermann ist ein eindrucksvolles und ganz besonderes Beispiel für das ambivalente Rollenspiel von Opfer und Täter. Der bekennende Jungkommunist wollte zunächst Politoffizier der NVA werden, weigerte sich aber, ein Loblied auf den obersten General der DDR zu singen, und flog prompt von der Schule. Dennoch weiterhin überzeugt von den Idealen des Kommunismus wollte er in die SED eintreten, überlebte jedoch die einjährige Kandidatur-Phase nicht, „wegen unerwünschter eigener Meinung“.

In dieser Zeit wurde er auch IM und durfte schließlich doch in die Partei, die ihn allerdings einige Jahre später wegen „prinzipieller Eigenwilligkeit“ erneut ausschloss — zu aufmüpfig, zu unangepasst. Auch seine IM-Tätigkeit endete da. Aus Scham sprach er lange nicht darüber und outete sich erst fünf Jahre nach der Wende, dabei feststellend, dass er selbst auch bespitzelt worden war. „Ich sehe mich nicht als Opfer und auch nicht als Täter. Ich habe mich mit der DDR eingelassen (…) ich habe ausgeteilt und eingesteckt“ Film und Leben von Gerhard Gundermann zeigen anschaulich das komplexe Arrangement mit einem System „totaler Herrschaft“.

Das Arrangement mit totalitären Elementen in der Demokratie

Mag schon in totalitären Systemen nicht immer klar und einfach sein zu bestimmen, wer Opfer und wer Täter ist und wie viel von beidem in einem steckt, so wird es noch schwieriger in scheinbar reifen Demokratien. Hannah Arendt weist darauf hin, dass Elemente totaler Herrschaft keine Exklusivmerkmale von Diktaturen sind. Es gibt sie überall.

Gerade in der Coronakrise merken wir das allzu deutlich. Auf der einen Seite sehen sich die ihrer Grundrechte beraubten Demonstranten und Querdenker klar in der Opferrolle. Ihnen gegenüber stehen diejenigen, die alle Maßnahmen artig befolgen. Sie sehen in diesen Impf- und Maskengegnern „Täter“, die durch ihr asoziales unsolidarisches Verhalten verantwortlich für hohe Fallzahlen und Hotspots sind. Sich selbst sehen sie daher nicht nur als Opfer einer Seuche, sondern auch als Opfer dieser Uneinsichtigen, die sie notfalls auch wegsperren würden.

Für jene wiederum sind sie aber Täter, die durch ihren opportunistischen Gehorsam und ihre Angst vor Bußgeldern all die Maßnahmen überhaupt erst durchsetzbar machen.

Maßnahmen, die nach ihrer Einschätzung unnötig sind und weitaus höhere Schäden anrichten als das Coronavirus selbst. Denn das halten sie für kaum gefährlicher als ein Grippevirus. Folglich hätten die altbekannten Rezepte ausgereicht: normale Hygiene und Abstand, Hand vors Gesicht beim Niesen, so wie früher eben. Wer Angst hat, sich anzustecken, der bleibt zu Hause. Wer krank ist, macht das sowieso. Oder er geht zum Arzt, der ihn dann hoffentlich richtig untersucht, also nicht nur auf Corona. Und wer sich unbedingt maskieren will, kann auch das tun, aber eben ohne, das von allen anderen zu verlangen.

All das hätte keinen Lockdown erfordert, keine Geschäftsschließungen, keine Arbeitslosen und Kurzarbeiter, keine massive Staatsverschuldung, noch nicht mal eine Impfung, schon gar nicht so überhastet entwickelt. Die Gefahr eines Kollapses des Gesundheitswesens sehen sie nicht, das würde medial konstruiert. Tatsächlich sei es nicht viel anders als in den Jahren zuvor, wo es auch immer wieder lokale Engpässe und Notsituationen gegeben habe, nur eben kein gesteigertes mediales Interesse daran. Ein ebensolches besonderes öffentliches Interesse am Schicksal unserer Älteren halten sie für Heuchelei. Und gefragt würden die Rentner sowieso nicht, früher schon nicht, und auch heute nicht. Sie sind wohl die Einzigen, denen man ihre eindeutige Opferrolle nicht streitig machen kann.

Die Herrschaft des Niemand

Mit ihren Fragen nach individueller Verantwortung und Schuld hatte Hannah Arendt den Finger in die Wunde gelegt.

Arendt sah keine Kollektivschuld der Deutschen. Man müsse jeden Menschen nach den konkreten Umständen seines Handelns beurteilen. Dennoch macht nachdenklich, dass nahezu alle auf verschiedenen Ebenen und mit großer Selbstverständlichkeit das System bis zuletzt unterstützt haben. Alle beriefen sich danach darauf, selbst nichts entschieden zu haben und daher unschuldig zu sein. „Immer und immer wieder beteuerten sie, niemals etwas aus Eigeninitiative getan zu haben. Sie hätten keine wie auch immer gearteten guten oder bösen Absichten gehabt und immer nur Befehle befolgt“ (6).

Die Banalität des Bösen liegt aber genau in dieser Mentalität der Unterordnung des modernen Massenmenschen unter die Herrschaft der Bürokratie und unter die „Herrschaft des Niemand“, in der am Ende keiner mehr die Verantwortung für sein Tun übernehmen will. Genau das macht Arendt so erschreckend aktuell (7).

Heute müssen sich vor allem die aktiv Handelnden fragen, die Politiker, Ärzte, Wissenschaftler, Mitarbeiter der Gesundheitsämter und Verwaltungsrichter und selbst die Polizisten, ob sie das Richtige tun. Sie sind diejenigen, die besonders aktiv entscheiden und wirken, die ihr Tun und dessen Konsequenzen sehr wohl einschätzen können und die dafür auch zur Rechenschaft gezogen werden können.

Wer übernimmt die Verantwortung, wenn es zu massiven Impfschäden kommen sollte? Der impfende Arzt, der Staat, der einzelne Politiker, die Impfstoffhersteller, die Gesundheitsämter, die freigebenden Stellen wie die Ständige Impfkommission STIKO oder die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA, Überwachungsorgane wie das Paul-Ehrlich-Institut, der Leiter eines Pflegeheimes oder gar der Virologe, der mit seinem PCR-Test die Pandemie überhaupt erst ermöglicht hat? Sie alle werden es auf irgendeinen anderen schieben. Keiner wird es am Ende gewesen sein.

„Das größte begangene Böse ist das Böse, das von niemandem getan wurde, das heißt von menschlichen Wesen, die sich weigern, Personen zu sein“ (8). Und diese Weigerung, Person zu sein und selbst Verantwortung zu übernehmen, sei bis zum heutigen Tag ein gefährliches Muster der Massengesellschaft, mahnt Arendt eindringlich.

Kein Recht auf Gehorsam

Gerade die Deutschen, so stellt Arendt fest, hätten eine verhängnisvolle Tendenz zu unbedingtem Gehorsam (9). Gehorsam jedoch steht ihr zufolge dem menschlichen Wesen und seiner Freiheit fundamental entgegen. Blinder Gehorsam ist in jedem System hochgefährlich, auch in der Demokratie.

Kein Mensch habe „das Recht zu gehorchen“ (10), sagt Arendt mit Verweis auf Immanuel Kant. Jeder habe die Pflicht, selbst zu denken und zu urteilen. Keine diktatorische Ideologie, kein Gesetz und auch keine demokratische gewählte Regierung darf unser eigenes Denken ersetzen oder einschränken. Wir benötigen das, was sie sich auch selbst immer wieder abverlangt hat: ein „Denken ohne Geländer“ (11).

„Nur ein Kind gehorcht“ (12) — nur da sei Gehorsam überhaupt berechtigt. Denn das Kind müsse nun mal „blind gehorchen“, wenn die Mutter ihm zuriefe, an der roten Ampel stehenzubleiben. Davon könne das Überleben des Kindes abhängen. „Gehorchen in diesem Sinne tun wir, solange wir Kinder sind. Da ist es notwendig (…) Aber die Sache sollte doch im vierzehnten, fünfzehnten Lebensjahr spätestens ein Ende haben“ (13). Der Erwachsene hingegen kann und darf sich nicht auf Gehorsam berufen. Gehorsam muss durch Eigenverantwortung ersetzt werden.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der prominente Neuzeit-Philosoph Richard David Precht genau dasselbe Rote-Ampel Beispiel bemüht, um jedoch gerade auf die Notwendigkeit des Gehorsams hinzuweisen.

„Wenn Sie nachts mit dem Auto fahren und da ist eine rote Ampel, dann können Sie sich ja auch sagen: Diese rote Ampel macht ja eigentlich überhaupt keinen Sinn. Da ist kein anderes Auto, da ist kein Fußgänger. Trotzdem nötigt der Staat ihnen ab, an einer roten Ampel zu halten, einfach, weil sie ein guter Staatsbürger sind, der sich an die Regeln zu halten hat. Und es steht ihm nicht frei, diese Regeln frei zu interpretieren. Persönlich können Sie darüber denken, die Ampel ist völlig sinnlos. Das können Sie auch Ihrer Frau sagen oder Ihren Freunden. Sie müssen sich trotzdem an die Regeln halten. Und es ist erschreckend“, nimmt Precht die Kritiker der Corona-Maßnahmen aufs Korn, „dass wir etwa 15 Prozent der Bevölkerung haben, die das immer noch nicht verstanden haben“ (14).

Nun ist man versucht, den Promiphilosophen gleich direkt zu fragen, wie lange er denn wohl an dieser Ampel verweilen würde, wenn sie nach drei Minuten Wartezeit immer noch auf Rot stünde und ob nicht irgendwann seine staatsbürgerliche Funktionsfähigkeit Risse bekäme? Auch könnte man ihn fragen, ob er sich an einer roten Fußgängerampel als ebenso „gut funktionierender Staatsbürger“ verhalten würde. Folgen wir also Regeln, weil sie Sinn ergeben und dem Gemeinwohl dienen oder nur aus Gehorsam und Pflichtgefühl? Oder vielleicht auch nur, weil wir uns nicht dem Risiko einer Bestrafung aussetzen wollen, eines Bußgelds beispielsweise?

Prechts Aussagen „könnten auch von chinesischen oder nordkoreanischen Staatsphilosophen stammen.“, kommentiert der Redakteur der NachDenkSeiten Jens Berger. „Mir machen Menschen Angst, die aus blindem Gehorsam heraus jeglichen Rest von Aufsässigkeit in sich unterdrücken. Und noch mehr Angst machen mir staatstragende Philosophen, die diese Form des blinden Gehorsams als eine Art kategorischen Imperativ für unsere Gesellschaft formulieren“ (15) — richtig und danke, Jens Berger.

Die Klaviatur des Widerstands

Arendt hat nie erwartet oder gefordert, dass Menschen ihr Leben riskieren. Doch die meisten hätten sich die Frage erst gar nicht gestellt, zu welcher Art von Widerstand sie in der Lage sind. Denn die Bandbreite ist groß. Sie reiche von Nichtunterstützung, Verzögerung, Krankmeldung, Verschleierung, heimlicher Sabotage bis hin zu aktivem Widerstand. Man konnte immer und zu jeder Zeit versuchen, Sand im Getriebe zu sein, nicht zu kooperieren, Zeit zu gewinnen, niemanden zu verraten, dem einen oder anderen Verfolgten heimlich zu helfen oder den Weg zu weisen, wo er Hilfe finden kann. So haben beispielsweise die Dänen die Herausgabe der Juden an die Nazis auf allen Ebenen blockiert und verweigert (16).

Auch wenn der Autor größten Wert darauf legt, dass die Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus durch Vergleiche nicht verharmlost werden dürfen, so stellen sich doch bestimmte Fragen auch heute, in dieser womöglich größten Krise der Nachkriegsgeschichte: Wie verhalten wir uns? Leisten wir Widerstand? Wo in der Bandbreite des Widerstands ordnen wir uns selbst ein? Verweigern wir die Impfung, wenn wir von deren Nutzen nicht überzeugt sind? Oder knicken wir ein, damit wir unsere Freiheiten zurückerhalten, wieder reisen dürfen …? Sprechen wir darüber, klären wir andere auf? Tragen wir die Maske nicht, vor allem dort nicht, wo es überhaupt keinen Sinn macht? Zeigen wir Gesicht? Treffen wir uns weiterhin mit Freunden, auch wenn es verboten ist? Nehmen wir unser Informations- und Versammlungsrecht — immerhin ein Grundrecht — wahr? Sagen wir unsere Meinung? — Denn auch das ist ein Grundrecht.

Verweigern wir die Zahlung von Bußgeldern? Gehen wir notfalls vor Gericht? Empfehlen wir Bücher, Sendungen und Studien, die aufklären? Unterstützen wir alternative Medien und einen ehrlichen investigativen Journalismus? Wählen wir die, die unsere Freiheits- und Grundrechte vertreten, oder lassen wir es ganz, weil wir solche Volksvertreter gar nicht mehr finden? Fragen wir bei unseren lokalen Politikern und bei verantwortlichen Stellen an, bitten wir um Aufklärung? Weisen wir sie auf ihre Verantwortung hin? Werden wir nicht müde, uns umfassend zu informieren? Hören wir nicht auf, verstehen zu wollen?

„Wir brauchen uns nur (…) vorzustellen“, so Arendt, „was (…) Regierungen passieren würde, wenn genügend Leute (…) die Unterstützung verweigerten“ (17).

Elemente totaler Herrschaft in der Demokratie

Lange Zeit konnte man Arendt entgegnen, dass ihre Erkenntnisse über Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft auf der Analyse extremer Ausprägungen totalitärer Systeme beruhten, der NS-Herrschaft sowie des Stalinismus mit seinen Gulags. Moderne marktwirtschaftliche Demokratien hingegen seien — gerade auch aufgrund der historischen Erfahrungen, aber auch infolge einer aufgeklärten antiautoritären Erziehung — weitgehend immun gegen totalitäres Verhalten und blinden Gehorsam.

Praktisch zeitgleich zur Anklage Eichmanns in Jerusalem führte der amerikanische Psychologe Stanley Milgram das nach ihm benannte Experiment durch und bewies, dass das blinde Befolgen von Vorschriften und Anordnungen auch heute noch existiert. Sobald der Staat, eine Behörde oder eine Autorität Anweisungen geben, werden diese zumeist gedanken- und widerstandslos ausgeführt, auch dann, wenn sie den eigenen moralischen Prinzipien widersprechen (18).

Die überwiegende Mehrheit der Versuchsteilnehmer zeigte sich bereit, einen Menschen bis zum Tod zu quälen. Und alle waren der Überzeugung, dafür keine Verantwortung zu tragen. Das aufsehenerregende Experiment wurde mehrfach wiederholt, auch in abgewandelter Form und teilweise noch verschärft. Doch die zentrale Erkenntnis blieb: Ganz normale Menschen sind in der Lage, beliebige Personen zu foltern und zu töten, wenn sie durch vermeintliche Autoritäten dazu auffordert und von ihrer persönlichen Verantwortung entbunden werden. Sie gehorchen, ohne über die Konsequenzen ihres Handelns nachzudenken. Keiner von ihnen hätte aus freien Stücken so gehandelt.

Diese Abkopplung von eigenem Denken und tatsächlichem Handeln wider die eigene Überzeugung erleben wir nur allzu oft.

Man darf mutmaßen, wie viele maskierte Menschen noch in den Fußgängerzonen zu sehen wären, wenn von einem Tag auf den anderen die Maskenpflicht entfiele. Diese Übriggebliebenen wären in der Tat auch weiterhin überzeugt, sich ohne Maske unter freiem Himmel mit dem Virus zu infizieren und eine schwere Erkrankung zu riskieren. Alle anderen taten es bis dato aus Gehorsam.

Gerade dieses Beispiel zeigt die Absurdität des Gehorsams. Wir folgen nicht nur einer offensichtlich unsinnigen Anordnung, wir nehmen sogar Schaden für die eigene Gesundheit in Kauf. Hätten wir die Wahl, wären die Innenstädte wohl wieder weitgehend maskenfrei.

Was tun?

Es wäre daher schon viel gewonnen, so Hannah Arendt, „wenn wir das bösartige Wort Gehorsam aus dem Vokabular unseres moralischen und politischen Denkens streichen könnten“ (19). Wir sollten uns hüten, ein Kind für das Befolgen von Anweisungen als „braves Kind“ zu loben. Autoritäre Erziehung führe tendenziell zu devoten Charakteren. Vielmehr bräuchten wir, gerade nach den historischen Erfahrungen, Zivilcourage als Schulfach und eine Kultur des Widerstands (20).

An dieser Stelle mag man die Augenbrauen zum Haaransatz hochziehen. Denn die aktuelle Schülergeneration lernt gerade besonders eindrucksvoll genau das Gegenteil: nämlich zu gehorchen.

Arendt plädiert für Auffrischungskurse für zivilen Ungehorsam. Keinem Staat, keiner Regierung und keiner Verwaltung dürfe blind vertraut werden. Doch solche Forderungen scheinen realitätsfern. Denn natürlich ist gerade der Staat daran interessiert, seine Sprösslinge zu — im Precht’schen Sinne — „funktionierenden“ Wesen und zur Pflichterfüllung zu erziehen. „Staatsbürgerkunde“ hieß das entsprechende Schulfach in der DDR, ein Wort von erschreckend entblößender Ehrlichkeit.

In vielen Unternehmen hingegen werden Mitarbeiter tatsächlich zum Frei- und Querdenken ermutigt, zweifelsohne auch eine wichtige Voraussetzung für kreative Ideen und Innovationen. Und so mangelt es auch nicht an Kursen und Workshops, die dies fördern und entwickeln sollen. Zugleich ist es erschreckend, wie wenig Widerstand in Corona-Zeiten aus den Unternehmen selbst kommt und wie folgsam sie jede noch so irre Verordnung umsetzen und sie zumeist noch überbieten.

Hannah Arendt war unbestritten eine starke Persönlichkeit, weltoffen, streitbar, wortgewandt und selbstbewusst. Sie wollte verstehen. Und sie hat verstanden. Gerade deshalb blieb sie zeit ihres Lebens eine unbequeme und mutige Außenseiterin, die bereit war, sich mit allen und jedem anzulegen, wenn es um die Wahrheit ging (21).

Sie lebte mit der der Überzeugung, dass nur ein „Denken ohne Geländer“ ein wirkliches „Verstehen“ ermöglicht, und damit auch eine Urteilsfindung. Im immer noch äußerst sehenswerten Gespräch mit Günter Gaus verweist sie auf die Rolle des Staatsmannes, der ja schließlich täglich wichtige und komplexe Entscheidungen zu treffen habe. Er müsse sich dazu Experten bedienen. Aber: „Jeder vernünftige Staatsmann holt sich die entgegengesetzten Expertisen ein. Denn er muss die Sache ja von allen Seiten sehen. Nicht wahr? Dazwischen muss er urteilen. Und dieses Urteilen ist ein höchst mysteriöser Vorgang. In dem äußert sich dann der Gemeinsinn“ (22).

Die Entscheidungsfindung in der Politik sollte also rational abgewogen und unter gleichberechtigter Einbeziehung auch diametral unterschiedlicher Meinungen erfolgen. Und sie sollte nicht interessengeleitet sein, sondern am Gemeinwohl orientiert.

Wenn wir das beherzigen würden, kämen in der heutigen Zeit auch Experten zu Wort, die zu grundsätzlich anderen Einschätzungen gelangen. Politiker müssten dies berücksichtigen und vor allem evidenz- und faktenbasiert entscheiden, Studien und Modelle würden von unabhängigen Instituten wie Cochrane (23) erstellt oder geprüft, unabhängig vor allem von Pharma- und Medizinindustrie. Parlamentarische Strukturen blieben erhalten und Verfassungen in Kraft, da diese die Manifeste des Gemeinwohls sind.

Wir sollten uns Hannah Arendt würdig erweisen und zeigen, dass auch wir verstehen können.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Walther Ziegler: Arendt in 60 Minuten. Books on Demand 2018, Seite 7.
(2) Günter Gaus im Gespräch mit Hannah Arendt, 28. Oktober 1964, https://www.rbb-online.de/zurperson/interview_archiv/arendt_hannah.html ab Minute 5:22. Arendt: „Wenn ich arbeite, bin ich an Wirkung nicht interessiert.“ Gaus: „Und wenn die Arbeit fertig ist?“ Arendt: „Ja, dann bin ich damit fertig. Wissen Sie, wesentlich ist für mich: Ich muss verstehen. (…) Jetzt fragen Sie nach der Wirkung (…) ich sehe das gewissermaßen von außen. Ich selber wirken? Nein, ich will verstehen.“
(3) Walther Ziegler: Arendt in 60 Minuten. Books on Demand 2018, Seite 8.
(4) Günter Gaus im Gespräch mit Hannah Arendt. 28. Oktober 1964, https://www.rbb-online.de/zurperson/interview_archiv/arendt_hannah.html, ab Minute 30:30; Arendt: „Das Problem, das persönliche Problem, war doch nicht etwa, was unsere Feinde taten, sondern was unsere Freunde taten. Was damals in der Welle von Gleichschaltung (…) vorging: Das war, als ob sich ein leerer Raum um einen bildete. Ich lebte in einem intellektuellen Milieu (…) ich konnte feststellen, dass unter den Intellektuellen die Gleichschaltung sozusagen die Regel war. Aber unter den anderen nicht. Und das hab ich nie vergessen.“
(5) Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht über die Banalität des Bösen. Piper Verlag 2017, Seite 404.
(6) Zitat Hannah Arendt: Über das Böse. Eine Vorlesung zu Fragen der Ethik. Piper Verlag. 2006; siehe auch: Walther Ziegler: Arendt in 60 Minuten. Books on Demand 2018, Seite 74,
(7) Walther Ziegler: Arendt in 60 Minuten. Books on Demand 2018, Seite 74 folgende.
(8) Hannah Arendt: Über das Böse. Eine Vorlesung zu Fragen der Ethik. Piper Verlag 2006, Seite 101.
(9) Hannah Arendt im Gespräch mit Joachim Fest. Eine Rundfunksendung aus dem Jahr 1964. http://www.hannaharendt.net/index.php/han/article/view/114/194, Arendt: „… was mir spezifisch deutsch scheint, ist diese geradezu verrückte Idealisierung des Gehorsams.“
(10) Ebenda, Arendt: „Kants ganze Moral läuft doch darauf hinaus, dass jeder Mensch bei jeder Handlung sich selbst überlegen muss, ob die Maxime seines Handelns zum allgemeinen Gesetz werden kann. (…) Jeder ist Gesetzgeber. Kein Mensch hat bei Kant das Recht zu gehorchen.“
(11) Hannah Arendt: Diskussion mit Freunden und Kollegen in Toronto. In: Hanna Arendt: Ich will verstehen. Selbstauskünfte zu Leben und Werk. München 1996, Seite 71 bis 113, Seite 110, aus: Walther Ziegler: Arendt in 60 Minuten. Books on Demand 2018, Seite 20.
(12) Hannah Arendt: Persönliche Verantwortung in der Diktatur. In: Hannah Arendt: Israel, Palästina und der Antisemitismus. Aufsätze. Wagenbach Verlag 1991, Seite 36, aus: Walther Ziegler: Arendt in 60 Minuten. Books on Demand 2018, Seite 77.
(13) Hannah Arendt im Gespräch mit Joachim Fest. Eine Rundfunksendung aus dem Jahr 1964, http://www.hannaharendt.net/index.php/han/article/view/114/194.
(14) „Als Staatsbürger haben wir zu funktionieren.” — Richard David Precht. 26. November 2020, https://www.youtube.com/watch?v=AN-1C8OSYtI, ab Minute 03:34.
(15) Jens Berger: Der Staatsphilosoph vor der roten Ampel. NachDenkSeiten, 7. Dezember 2020, https://www.nachdenkseiten.de/?p=68101.
(16) Walther Ziegler: Arendt in 60 Minuten. Books on Demand 2018, Seite 80.
(17) Hannah Arendt: Persönliche Verantwortung in der Diktatur. In: Hannah Arendt: Israel, Palästina und der Antisemitismus. Aufsätze. Wagenbach Verlag 1991, Seite 37 folgende.
(18) Walther Ziegler: Arendt in 60 Minuten. Books on Demand 2018, Seite 83.
(19) Hannah Arendt: Persönliche Verantwortung in der Diktatur. In: Hannah Arendt: Israel, Palästina und der Antisemitismus. Aufsätze. Wagenbach Verlag 1991, Seite 38, aus: Walther Ziegler: Arendt in 60 Minuten. Books on Demand 2018, Seite 90.
(20) Walther Ziegler: Arendt in 60 Minuten. Books on Demand 2018, Seite 91.
(21) Walther Ziegler: Arendt in 60 Minuten. Books on Demand 2018, Seite 100 folgende. Arendt kritisierte Israel wegen der Vertreibung der Araber und des Massakers an der palästinensischen Bevölkerung im Dorf Deir Yasin scharf, ebenso die Sowjetunion wegen der Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes, die US-Regierung wegen des Vietnamkrieges und die Adenauer-Regierung wegen der Nichtverfolgung und viel zu geringen Bestrafung ehemaliger SS-Funktionäre durch die Justiz. Nach dem Auftauchen der Pentagon Papiere warnte sie vor den strategischen Lügen im Politikbetrieb.
(22) Günter Gaus im Gespräch mit Hannah Arendt. 28. Oktober 1964. https://www.rbb-online.de/zurperson/interview_archiv/arendt_hannah.html, ab Minute 01:06:00.
(23)Cochrane ist ein globales, unabhängiges Netzwerk aus Wissenschaftlern, Ärzten, Angehörigen der Gesundheitsfachberufe, Patienten und weiteren an Gesundheitsfragen Interessierten. Cochrane fördert die evidenzbasierte Entscheidungsfindung in Gesundheitsfragen durch die Erstellung und Verbreitung hochwertiger systematischer Übersichtsarbeiten und Metaanalysen. Neben der Erstellung von Reviews widmet sich Cochrane auch Methoden für die Aufbereitung von Evidenz und Wissenstransfer. Die über 50 Review-Gruppen erstellen auch laienverständliche Zusammenfassungen in zahlreichen Sprachen.